Ambulantes Hospiz Mülheim a. d. Ruhr e.V.

Leben in Würde bis zuletzt

Begleitung von Schwerstkranken, Sterbenden und Trauernden

 

 

 

 

Auch in diesem Jahr hatte der Vorstand die Ehrenamtlichen zu einer Fortbildungsveranstaltung in die Malteser Kommende in Ehreshoven eingeladen. Die Veranstaltung fand vom 1. bis zum 3. Mai statt und stand unter dem Arbeitstitel: 

„Achtsamkeit als Haltung und Fähigkeit in der Begleitung von Menschen mit Demenz und in der Sterbebegleitung „. 

Es machten sich insgesamt 23 Ehrenamtliche gut gelaunt und in froher Erwartung auf den Weg. Die meisten von ihnen kannten die Malteser Begegnungsstätte bereits von früheren Tagungen und wussten, dass nicht nur Arbeit auf sie wartete, sondern auch gute persönliche Gespräche und ein anregendes Ambiente zum Wohlfühlen. Auch das herrliche Frühlingswetter trug zu der guten Stimmung bei. 

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In Ehreshoven angekommen bot eine windgeschützte Sitzecke im Innenhof Gelegenheit,   Kaffee und Kuchen bei strahlendem Sonnenschein draußen zu genießen. Die Sportlichen in der Runde nutzten die Zeit für einen Spaziergang. 

 

Gegen Abend traf man sich im Tagungsraum zu einer Vorstellungs- und Einstimmungsrunde, die insbesondere von den Neulingen genutzt wurde, um sich bekannt zu machen bzw. die anderen Mitglieder der Runde kennenzulernen. Frau König richtete Grüße des Vorstands aus und dankte in dessen Namen allen Ehrenamtlichen für ihr Engagement und ihre Arbeit im laufenden Jahr. 

Für den Samstag wurde als Referentin Frau Carmen Birkholz gewonnen, die das Institut für Lebensbegleitung in Essen leitet und insbesondere hinsichtlich der Begleitung von Dementen und Sterbenden über langjährige Erfahrung verfügt. 

Nach einer Einführungsrunde stellte uns Frau Birkholz das Thema vor: 

Die Kommunikation mit Dementen und Sterbenden ist problematisch, da diese sich häufig nicht mehr oder nur eingeschränkt verbal verständlich machen können. Um dennoch einen guten Kontakt herzustellen und das emotionale Befinden der Betroffenen richtig einzuordnen (insb. Angst, Verzweiflung oder Zorn), ist es wichtig, dass der Begleitende die Situation mit all seinen Facetten wahrnimmt, um hilfreich reagieren zu können. Diese Art der Wahrnehmung wird als achtsam bezeichnet, wenn sie dem Gegenüber mit freundlicher Zugewandheit begegnet, die Gedanken weder mit der Vergangenheit noch der Zukunft befasst sind, sondern die Wirklichkeit gesehen und angenommen wird,  ohne zu versuchen, das Vorgefundene zu be- oder zu verurteilen. 

So unspektakulär wie diese Definition daherkommt, umso deutlicher offenbaren sich Probleme, wenn man sich mit den Details befasst: Der menschliche Geist hat die Neigung, zwischen Vergangenem und Zukünftigem hin- und herzuspringen. Mit dem, was gegenwärtig ist, dem Hier und Jetzt befasst er sich selten. Ein Beispiel: während wir essen ärgern wir uns über ein Ereignis von gestern oder beschäftigen uns mit den Pflichten, die noch zu erledigen sind. Was wir essen oder wie es schmeckt, können wir oft gar nicht sagen, weil wir es nicht wahrgenommen haben.

Ähnlich ergeht es uns, wenn wir einem Sachverhalt begegnen, den wir schon oft erlebt haben. Unser Geist macht sich nicht die Mühe, sich alle Details anzusehen, sondern er reagiert routinemäßig so, wie er es immer tut und wird damit der speziellen Situation nicht gerecht. Auch hier hilft ein Beispiel: ein dementer Mensch macht ein großes Durcheinander in seinem Zimmer. Wir haben das oft erlebt, unsere Reaktion läuft automatisch ab: die Unordnung stört, wir ärgern uns und reagieren prompt mit einer ungehaltenen Bemerkung. Der demente Mensch fühlt sich unverstanden, wird laut oder zieht sich zurück: die Kommunikation misslingt. 

Welchen Verlauf hätte die Situation nehmen können, wenn die Regeln der Achtsamkeit angewandt worden wären? 

Der Begleitende hätte nicht nur das Tun seines Gegenübers mit Wohlwollen wahrnehmen können sondern auch seinen eigenen Anteil an dem Geschehen. Er hätte beobachtet, dass das unordentliche Zimmer ihn ärgert. Diese Beobachtung erfolgt ebenfalls ganz sachlich ohne Be- oder gar Verurteilung, sie ruft kein schlechtes Gewissen hervor. Die Zeit, die für die Beobachtung benötigt wird, gibt dem Begleiter Gelegenheit, sich zu überlegen, wie er reagieren will. Dieser Zeitraum ist damit ein Freiraum, der den Automatismus zwischen Reiz und Reaktion unterbricht und damit dem Begleitenden die Rolle des aktiven Gestalters zurückgibt. Er ist nicht länger in der Rolle des Opfers, dem für die Reaktion auf einen Reiz nur ein beschränktes Repertoire an Antworten zur Verfügung steht. 

Frau Birkholz trug folgenden Text als Resumee dieses ersten Teils des Seminars vor: 

Haltung der Achtsamkeit            

Der einzige Weg,                            Der einzige Weg

eine Sache loszuwerden,               ist

ist,                                                   hinschauen

sie sein zu lassen                           gelten lassen

wie sie ist.                                       akzeptieren.

Das bedeutet,                                 Wir erleben

sie nicht zu ändern                         das Wunder

sie nicht zu bekämpfen                  dass sich Probleme

sie nicht zu übersehen                   in der Erfahrung auflösen.

Ehreshoven

Der zweite Teil des Seminars war der Frage gewidmet, wie man die Fähigkeit zur Achtsamkeit erwerben bzw. festigen kann. Zur Verdeutlichung der theoretischen Basis trug die Referentin folgendes vor: 

Die Kunst, sein Bewusstsein auf das Hier und Jetzt zu fokussieren ist erlernbar, im wesentlichen durch Meditation, aber auch über den Weg, Alltagshandlungen in bewusster Achtsamkeit zu praktizieren (z.B. Zähneputzen, Anziehen, Essen, Sport, Hobbies, etc.) 

Als Grundhaltung sollte jeder Übende mitbringen: Geduld, Nachsicht mit sich selbst, Disziplin, Humor, Offenheit, Neugier, Unvoreingenommenheit und Gelassenheit. 

Während diese allesamt positiven Haltungen aus sich heraus verständlich sind, liegt es nicht auf der Hand und bedarf der Erläuterung, warum andere Haltungen von der Lehre der Achtsamkeit als kontraproduktiv angesehen werden: dazu gehört das Ansteuern von Zielen bzw. das Festhalten an Dingen und Überzeugungen. 

Wer mithilfe der Meditation ein Ziel ansteuert, befasst sich mit einem Geschehen in der Zukunft und ist nicht frei für das Erleben des gegenwärtigen Moments. Wer sich dem Hier und Jetzt anvertraut kann aber u.U. Dinge bewirken, die sich mit dem Willen und Tun nicht beeinflussen lassen. Frau Birkholz hatte zu diesem Thema eine sehr eingängige kleine Geschichte : 

„Das Glück ist ein Schmetterling“, sagte der Meister. „Jag’ ihm nach und er entwischt dir. Setz dich hin und er lässt sich auf deiner Schulter nieder.“

„Was soll ich also tun, um das Glück zu erlangen?“, fragte der Schüler.

„Du könntest versuchen, dich ganz ruhig hinzusetzen – falls du es wagst!“ 

Das Festhalten an Dingen, Einstellungen und Denkmustern wird aus ähnlichen Gründen kritisch gesehen: wer an festgefahrenen Überzeugungen um jeden Preis festhält, ist nicht frei für die ungetrübte, vorurteilsfreie Wahrnehmung des Geschehens im gegenwärtigen Moment. Es wäre aber ebenso falsch, diese festgefahrenen Ansichten zu ignorieren oder gar zu leugnen. Der sich um Achtsamkeit Bemühende wird sie erkennen und anerkennen und wertfrei neben alle anderen Beobachtungen und Einsichten stellen. Auch zu dieser Thematik hatte Frau Birkholz einen interessanten kurzen Text: 

Einsichten, die das Leben einfacher machen:

- Die Person, die dir begegnet, ist die Richtige

- Das, was passiert, ist das Einzige, was passieren konnte

- Jeder Moment, in dem etwas beginnt, ist der richtige Moment

- Was zu Ende ist, ist zu Ende. 

Nach der Mittagspause stand der Nachmittag dann ganz im Zeichen der aktiven Erprobung dessen, was morgens in der Theorie erarbeitet worden war: 

Eine Übung bestand darin, dass jeder innerhalb von sieben Minuten einen Apfelschnitz essen und anschließend über das berichten sollte, was er erlebt hat.

Es schlossen sich klassische Meditationsübungen an, die wahlweise im Sitzen oder im Liegen ausgeführt wurden. 

Danach zeigte uns Frau Birkholz eine Reihe von Fotos von dementen Menschen. Unsere  Aufgabe bestand darin, aus der Gestik und dem Ausdruck der Menschen herauszulesen, in welchem emotionalen Zustand sie sich befinden und uns zu überlegen, mit welchen Worten wir zu diesen Menschen Kontakt aufnehmen könnten. 

Am Ende des Nachmittags wurde die Tagung mit einer Schlussrunde beendet. Jeder hatte die Gelegenheit, seine Eindrücke zu schildern und vorzutragen, wie ihm das Seminar  gefallen hat. Die Meinungen waren einheitlich positiv, jeder Teilnehmer hatte neue Erkenntnisse gewonnen, die hilfreich für die ehrenamtliche Aufgabe sind. 

Der Tag klang mit dem gemeinsamen Abendessen und dem anschließenden gemütlichen Beisammensein im Kaminzimmer aus. 

Am nächsten Morgen ging die Fahrt zurück nach Mülheim. Die Teilnehmer bedankten sich herzlich bei Frau Guntermann für das informative Wochenende, bei dem die Entspannung und Erholung nicht zu kurz gekommen waren und äußerten die Hoffnung, dass alle bei der  nächsten Fortbildungsveranstaltung in Ehreshoven wieder dabei sein werden.

 

Text: Margrit Wallek-Heldtke